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Stephan Kinkele: Aphrodites Vermächtnis

  610 Wörter 2 Minuten 1.176 × gelesen
2017-02-01 2017-04-24 01.02.2017

Im Oktober 1820 bricht der junge Lehrer Robert McFarlane aus Schottland mit seiner Frau Lydia nach Griechenland auf, um auf der kleinen Insel Cythera eine neu gegründete Schule zu leiten, einen über die Jahrhunderte in Vergessenheit geratenen Tempel der Aphrodite wiederzufinden – und seinen Traum von Hellas zu verwirklichen. Doch Griechenland ist nicht mehr das Land der Antike, das er aus den Büchern kennt, die ihm seine griechische Mutter während seiner Kindheit in Schottland zu lesen gab. Nach 400 Jahren osmanischer Herrschaft bereiten die Griechen einen Aufstand gegen die Unterdrücker vor, unterstützt von einer auch im Ausland tätigen konspirativen Organisation. Aus Naivität und Unkenntnis gerät Mc Farlane mehr als einmal in gefährliche und dramatische Situationen. Wie ein Abenteuerroman liest sich Stephan Kinkeles im Verlag Balistier erschienenes Buch „Aphrodites Vermächtnis“. Doch bei allen Abenteuern, die sein junger Held McFarlane manchmal auf fast wundersame Weise übersteht, gelingt dem Autor eine atmosphärisch dichte Schilderung einer vergangenen Zeitepoche.

Die erste Enttäuschung nach einer sturmgepeitschten Schifffahrt ist für den jungen Schotten bei seiner Ankunft auf der von den Engländern beherrschten Insel Cythera, von den Einheimischen Cerigo genannt, sein Patenonkel Dimitris Samares. Kein „richtiger Verwandter“, sondern ein Freund der Familie, genauer gesagt der Mutter, der als Pelzhändler sein Geld verdiente und viel im Ausland reiste, entspricht der Arzt Samares so gar nicht dem Eindruck, den Mc Farlane als kleiner Junge in Schottland bei einem Besuch des Onkels von ihm gewonnen hat. McFarlane merkt schon bald, dass Samaras, der als Gemeinderat auf der Insel die Gründung der Schule betreibt, für die er seinen „Neffen“ als Schulleiter haben will, von den Engländern verdächtigt wird, mit den griechischen Aufständischen gemeinsame Sache zu machen. Bei einer Auseinandersetzung zwischen dem Verwalter des Grafen Dukakis – dieser steht zunächst als Schatzmeister und dann als Polizeichef in den Diensten der Engländer – und einem Bauernburschen, erteilt Samaras zum Entsetzen McFarlanes dem Verwalter eine Lektion und schlägt sich auf die Seite des griechischen Jungen.
Auch der Empfang bei den Einheimischen fällt nicht so aus, wie es sich der junge Lehrer erhofft hat. „Wir brauchen keinen Lehrer und erst recht keine Schule.Wir brauchen Land. Was nützen Buchstaben, wenn man keine Felder besitzt?“ Mit diesen Worten wird er von den Bauern begrüßt. Als ihm schließlich ein geheimes Dokument zugespielt wird, muss McFarlane erkennen, dass sein Onkel tatsächlich in den angestrebten Befreiungskampf verstrickt ist. Von einem Kapetanio aus Arkadien, Räuber und Patriot in einer Person, auf die Peloponnes verschleppt, gerät McFarlane selbst zwischen die Fronten. Von seinem europäischen Anzug wechselt er als Gefangener eines grausamen türkischen Steuerbeamten in die Kleider eines vornehmen Türken und schließlich nach seiner Befreiung durch griechische Aufständische in eine griechische Tracht.

Auch mit einer neuen Identität versieht sich McFarlane. „Diese Halunken von Griechen! Einer haute feige ab und der andere verschacherte ihn schnöde, nur um seine Haut zu retten. Kein Fünkchen Ehre! Hellenen?“, denkt McFarlane. Lange braucht er, bis er weiß, auf welche Seite – zu den Engländern, den Türken oder den Griechen? – er gehört. Als es soweit ist, hat sich sein Leben von Grund auf geändert, wenngleich er auch dann noch sich mit einem Griffel in der Hand bedeutend wohler und sicherer fühlt als mit einem Gewehr.

Stephan Kinkele (Jahrgang 1956) entführt den Leser seines spannend geschriebenen historischen Romans in eine vergangene Welt. Aussagestark und gekonnt schildert er die damaligen Lebensumstände. „Aphrodites Vermächtnis“ ist der erste Roman von Kinkele, der Ethnologie, Volkskunde und Germanistik in Hamburg und Berlin studierte, nach einer ethnologischen Feldforschung Anfang der 80er-Jahre für zwanzig Jahre auf der griechischen Insel Kythera blieb, als Reiseleiter unter anderem in Griechenland und auf Zypern arbeitete und heute wieder in Deutschland lebt.

Stephan Kinkele
Aphrodites Vermächtnis. Historischer Roman.
Verlag Dr. Thomas Balistier. 346 Seiten.
ISBN 3-937108-09-2.